Aufgrund widersprüchlicher Instrumentationsangaben für „Il Barbiere di Siviglia“ in den verschiedenen Partituren und Verzeichnissen befragte ich Mrs. Patricia B. Brauner, Uni Chicago, die gerade die kritische Neuausgabe des „Barbiers“ für Bärenreiter fertigstellt, nach Posaunenstimmen in Rossinis Oper:
Gibt es in einer Ihrer Quellen Posaunenstimmen für den „Barbier von Sevillia“?
Es gibt keine Posaunen in „Il barbiere di Siviglia“ in seiner Originalversion für Rom 1816, auch nicht in der Ouvertüre, welche aus „Aureliano in Palmira“ (1813) stammt. Wie auch immer, die neue kritische Ausgabe (welche wir hoffentlich noch 2008 veröffentlichen werden) wird als Anhänge zwei Arien enthalten, welche in Zusammenhang mit dem „Barbier“ stehen und eine Posaune erfordern.
Die erste ist eine Arie für Rosina (eingefügt vor der Gewittermusik), welche Rossini scheinbar der französischen Sängerin Joséphine Fodor-Mainvielle angeboten hat, die die Rolle der „Rosina“ im Teatro San Samuele Venedig 1819 spielte.
Die zweite ist als Ersatzarie für Bartolo, „Manca un foglio,“ komponiert von Pietro Romani für Florenz im Herbst 1816.
Aber wer fügte dann die drei Posaunen in der Ouvertüre und die zwei Posaunen in etlichen Nummern der Oper zum Beispiel in der Edition Dover hinzu?
Ich kenne die Dover edition nicht, aber wahrscheinlich benutzten sie die Version der Overture wie sie Rossini für „Elisabetta, regina d’Inghilterra“ (Neapel, 1815) umgeschrieben hat, anstelle der Version von „Aureliano in Palmira“ (Mailand, 1813).
Wir wissen daß für den „Barbiere“ die „Aureliano“-Version benutzt wurde, weil Rossinis Autograph deren Baßstimme enthält (Es gibt Orchestrierungsunterschiede zwischen beiden Ouvertüren). Eine Reihe „Barbier“-Manuscripte aus dem 19. Jahrhundert enthalten sogar die Ouvertüre für „Il Turco in Italia“.
Die Dover Edition kann man auszugsweise bei books.google ansehen.
Ah, sehen Sie, im Inhaltsverzeichnis steht, daß es die Ouverture von „Elisabetta“ ist. Und auf der letzten Seite steht, daß es ein Nachdruck der alten Ricordi-Ausgabe ist. Diese Ausgabe wurde 1969 von Alberto Zeddas kritischer Edition ersetzt. Bevor die Kritische Rossini Edition begonnen wurde, war Zeddas Ausgabe eine vorbildliche Arbeit. Inzwischen haben wir neues über Rossini gelernt, über das Operngeschäft seiner Zeit, und über Ekdotik (was die Italiener „filologia“ und die „Franzosen „ecdotique“ nennen).
Ekdotik: Kunde von der Theorie und Praxis der kritischen Edition von Quellentexten
In dem Journal „Takte“ publizierte Philip Gossett dort einen Artikel darüber, warum wir eine neue „Barbier“-Ausgabe brauchen.
Kennen Sie die faksimile Edition der edizione Lucca ISBN 88-7096-073-0. Ich kenne sie nicht, weil ich die 300 Eur dafür nicht habe.
Ja natürlich, seit ich mit Philip Gossett zusammenarbeite, habe ich Zugang zu dieser Ausgabe. Sie ist wunderschön, aber unglücklicherweise mieserabel gebunden, sodaß sich die Seiten bei Benutzung lösen. Aber es arbeitet sich fast so gut wie mit dem echten Autograph. In Paris sah ich einmal ein Rossini-Manuskript, worauf jemand geschrieben hatte, daß der Dreck an den Ecken von des Maestro’s eigenen Fingern stamme.
Ich weiß, Sie sitzen an der Quelle, an den Quellen. Vielleicht können Sie sagen, welche Quellen jeweils benutzt worden sind?
Zedda benutzte natürlich Rossinis autographes Manuscript in Bologna und verglich mit ein oder zwei anderen Quellen. Für die Bärenreiter Edition befragen wir etwa ein Duzend zeitgenössischer Kopien, um zu verstehen in welchen Formen die Oper zu Lebzeiten von Rossini kursierte. Rossini selbst machte nie irgend welche nachträglichen Änderungen an seinen Partituren.
Rossinis Verwendung von Posaunen scheint von den Theatern, für die er arbeitete, abhängig gewesen zu sein. Zum Beispiel, „La pietra del paragone“, wie „Aureliano“ für Mailand geschrieben, enthält keine Posaunen. Aber das mit dem Autograph überlieferte Notenmaterial deutet darauf hin, daß irgendwann eine Posaune zum Orchester ergänzt worden ist. So was kam vor: häufig wurden extra Hörner ergänzt, wahrscheinlich dem Zeitgeschmack entsprechend. Die Dover-Ausgabe mag sich auf eine soche Quelle des 19. Jh. stützen.
Keine Instrumentations-Ergänzungen von Rossinis Hand?
Fragen Sie nach dem Posaunenmaterial für Pietra? Nein, es ist nicht von Rossinis Hand. Auch nicht die ergänzten Hörner im Aufführungsmaterial für „Semiramide“ im Teatro La Fenice (jetzt in der Fondazione Cini, glaube ich). Rossini ergänzte ein zweites Hornpaar für eine Aufführung des Quartetto (N. 10) aus „Bianca e Falliero“ in aeinem Konzert in Bologna 1844, sein Autograph liegt im Civico Museo Bologna (QQ 157). Zu dieser Zeit waren größere Bläserbesetzungen üblich.
Und doch gibt es eine Posaune in der Ouvertüre: